Ich meine ja nur
Kritisches Denken
Wieso man vielleicht (nicht) alles hinterfragen muss.
Mit Sicherheit kennen Sie, oder gehören selbst (so wie ich) zu der Gruppe, Menschen, die alles und jeden hinterfragen. Für manche mag das unhöflich, lästig oder sogar störend sein, dabei wollen diese Menschen lediglich die Hintergründe verstehen und den Status Quo nicht immer hinnehmen. Deshalb hinterfragen sie ihn.
Im Fachjargon nennt man das „kritisches Denken“. Wenn man diesen Begriff bei Google eingibt, wird man von Karrieretipps, Business-Webseiten und Begriffen wie „Schlüsselqualifikation für moderne Unternehmen“ erschlagen. Dabei sollte man kritisches Denken in nahezu jedem Lebensbereich anwenden.
Was ist kritisches Denken?
Wenn man den Begriff „kritisches Denken“ zum ersten Mal hört, denkt man womöglich daran, dass kritisches Denken etwas mit Kritik üben zu tun hat, oder dass man Dinge zwingend negativ sieht. Dabei sind Kritik üben und Dinge hinterfragen, zwei volkkommen unterschiedliche Vorgehensweisen.
Der Begriff „kritisch“ bezieht sich in diesem Rahmen auf eine Denkweise und analytische Haltung, die man annimmt, wenn man Aussagen und Annahmen beurteilt.
Kritisches Denken ist also ein Prozess, bei dem man zu einem gewissen Themenfeld gutdurchdachte und begründete Argumente hervorbringen kann. Im Gegensatz zum schnellen und reaktiven Denken, das meistens aus dem Reflex oder Gewohnheit passiert, nimmt man sich beim kritischen Denken zwingend die erforderliche Zeit. Man zerlegt dabei jedes Argument und jede Annahme in seine Einzelteile und bringt diese mit neuen Ideen in Verbindung.
Deshalb sagt man auch, dass kritisches Denken ein aktiver Prozess ist und nicht etwa reflexartiges oder unüberlegtes Denken ist, welches rein passiv geschieht. Dieses „unüberlegte“ Denken geschieht im Unterbewusstsein. Wie man weiß, ist das Unterbewusstsein die Kommandozentrale für vieles was in unserem Körper vorgeht. In ihm schlummern unsere Gewohnheiten und Automatismen. Darunter fallen auch viele mentale Gewohnheiten.
Nur zwei Beispiele für mentale Angewohnheiten
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Man sieht eine Person, die erfolgreicher ist als man selbst und man fragt sich automatisch, warum nicht auch ich, die großartige Frau, das schöne Haus, den wundervollen Garten oder das teure Auto habe. In diesem Beispiel ist die mentale Angewohnheit negativer Natur (Neid, Sozialneid), die bei einem bestimmten Reiz (du siehst eine erfolgreiche Person in ihrem Umfeld) ausgelöst wird, ohne aktiv darüber nachzudenken.
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Wer glaubt, dass seine Gedanken stets das Ergebnis sorgfältiger Abwägung sind, liegt falsch. Denn wir benutzen das rationale Denken so wenig wie möglich. Unser Gehirn sträubt sich dagegen, weil es Energie kostet. Stattdessen laufen täglich tausende Denkroutinen ab. Automatisch entscheiden wir, was moralisch richtig und falsch ist, welches Bild wir von uns selbst und anderen haben. Kommt eine neue Person in den Raum, schätzen wir ihn mit unseren Denkmustern automatisch ein. Statt jeden Menschen neu zu bewerten, verfallen wir oft in Stereotype, welche in der multimedialen Welt nur all zu oft von außen gesteuert werden. In diesem Fall kann man die mentale Angewohnheit mit Bequemlichkeit, Faulheit oder (sogar noch schlimmer) Gleichgültigkeit beschreiben.
Wie einfach das funktioniert zeigen die drei nachfolgenden Nachrichtenmeldungen vom 11.05.2020.
Nachricht 1 neutral, ohne Wertung und ohne Interpretationsvorgabe:
In vielen deutschen Städten gehen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die staatlichen Vorgaben in der Corona-Pandemie zu protestieren.
Nachricht 2 mit Interpretationsvorgabe:
In vielen deutschen Städten gehen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die staatlichen Vorgaben in der Corona-Pandemie zu protestieren. Unter ihnen sind auch Menschen verschiedener ethnischer Herkunft sowie Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften.
Nachricht 3 mit Wertung und Interpretationsvorgabe:
In vielen deutschen Städten gehen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die staatlichen Vorgaben in der Corona-Pandemie zu protestieren. Unter ihnen sind Verschwörungstheoretiker und auch Rechtsextremisten. Politiker warnen nun vor einer Radikalisierung der Proteste.
Die Nachricht 3 wurde tatsächlich in dieser Form von der DPA verteilt und tausendfach mit Funk, Fernsehen und Zeitungen in Umlauf gebracht. Die Botschaft der Nachricht 3 ist klar sofern man sie mit der üblichen mentalen Angewohnheit der Bequemlichkeit liest: Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten radikalisieren sich auf Demonstrationen gegen die staatlichen Vorgaben.
Kritisches Denken
Der Begriff kritisches Denken ist mehr als nur alles kritisch zu hinterfragen. Dabei umfasst der Prozess des kritischen Denkens drei Komponenten:
- Sorgfältig und gründlich denken
- Vernunft und Logik
- Urteile über deine Überzeugungen
Sorgfältig und gründlich denken meint, dass man mit deinen Gedanken vorsichtig umgehen soll. Vorsichtig insofern, als dass man eben nicht voreilige Schlüsse zieht oder in seinen Überlegungen reaktiv handelt. Man muss sich Zeit nehmen, um jedes Argument sorgfältig zu durchdenken und jede Annahme gründlich zu hinterfragen.
Um kritisch zu denken, muss man sich auf das anstehende Thema konzentrieren und seine gesamte Komplexität berücksichtigen. Das Ziel des kritischen Denkens muss immer sein, nicht nur zu entscheiden, ob man ein Argument akzeptiert oder ablehnt, sondern auch, warum man das macht. Das gelingt einem am besten, indem man eine gutdurchdachte Begründung definiert und dadurch die eigene Meinung erläutert.
Um sorgfältig und gründlich denken zu können, musst man zunächst jedes Argument und jede Situation in seine Einzelteile zerlegen. Dabei musst man nicht nur jedes Einzelteil, sondern auch die Gesamtaussagen kritisch hinterfragen.
Wichtig
Kritisches Denken ist nicht nur eine Diskussionspraktik, sondern findet in vielen alltäglichen Situationen Anwendung.
Vernunft und Logik sind die zweite Komponente, um kritisch Denken und Argumentieren zu können. Um Probleme in der besten Art und Weise lösen zu können, braucht es Vernunft und Logik. Neben dem logischen Denken gibt es allerdings noch weitere Möglichkeiten, auf ein Ereignis oder Geschehen zu reagieren.
Viele Leute treffen ihre Entscheidungen basierend auf Emotionen, Intuition, Glauben, gesundem Menschenverstand (zumindest halten sie es dafür) oder dem „Bauchgefühl“.
Das bekannte Bauchgefühl ist im Grunde nichts anderes als Erfahrung und Intuition. Das Bauchgefühl kann man vielleicht als eine Ansammlung an Erfahrungswerten beschreiben. Es ist die Art und Weise, wie man in der Vergangenheit auf ähnliche Probleme reagiert hat und Entscheidungen getroffen wurden. Viele Menschen vertrauen darauf, weil es einfacher ist und sie dadurch in ihrer Komfortzone, der mentalen Angewohnheit, bleiben können.
Wenn man kritisch Denken möchte, ist es wichtig, Logik walten zu lassen. Das bedeutet allerdings nicht, dass man seine Emotionen oder die eigene Intuition gänzlich ignorieren soll. Es gibt Situationen, bei denen es nicht unbedingt ratsam ist, alles zu hinterfragen.
Bei zwischenmenschlichen Beziehungen zum Beispiel, macht es keinen Sinn, vollkommen kritisch-analytisch zu denken. Vielmehr kannst man in diesem Fall auch mal auf deine Emotionen und auf sein Bauchgefühl vertrauen. Ob es sinnvoll ist, kritisch zu denken, kommt, wie bereits erwähnt, also auf die Situation an. Streng genommen ist bereits die Entscheidung, wann man in welche Richtung (analytisch, emotional, intuitiv) denken soll, kritisches Denken.
In den Situationen, in denen kritisches Denken jedoch durchaus Sinn macht, sollte man sich gänzlich auf Logik und seine analytischen Fähigkeiten verlassen.
Urteile über deine Überzeugungen
Diese Komponente ist besonders wichtig für Entscheidungen. Wenn man über seine Überzeugungen urteilen will, muss man im Endeffekt herausfinden, ob das eigene Urteilsvermögen getrübt ist oder nicht. Das mag sich zuerst sehr schwierig anhören, jedoch ist das eigentlich ganz einfach.
Um über die eigenen Überzeugungen zu urteilen, reicht es sich die folgende Frage zu stellen: „Habe ich mir meine Meinung zu diesem Thema selbst gebildet oder habe ich die Meinung eines anderen übernommen?“
Wenn man in gewissen Situationen einfach Dinge akzeptiert oder hinnimmt (toleriert) ohne sie zu hinterfragen, kann es dazu kommen, dass man die Meinung von anderen übernimmt.
Das Erbe
Bei diesen „geerbten Meinungen“ geht es darum, dass man Dinge glaubt, nur weil jemand es so erzählt oder berichtet hat. Man wird künftig immer mit dem Auto von A nach B fahren, nur weil zum Beispiel ein Freund erklärt hat, dass es der billigste Weg ist. Berücksichtigt man jedoch Anschaffungskosten, Rücklagen, Betriebskosten, Versicherungen etc., dann wäre in Wahrheit für die Kurzstrecken aber der ÖPNV die preiswertere Alternative.
An diesem Beispiel kann man außerdem sehr gut erkennen, wann es Sinn macht, kritisches Denken anzuwenden und wann nicht.
Viele von uns haben Meinungen zu vielen Themen, die sie von anderen Menschen „geerbt“ haben. Besonders wenn es um Politik geht, kursieren sehr viele Meinungen, die von den Menschen blind angenommen oder abgelehnt werden. Moralische und ethische Werte zum Beispiel, sind Meinungen, die wir von unseren Mitmenschen, also Familien, Freunden und Gemeinden, vererbt bekommen haben. Viele dieser Dinge hinterfragen wir nicht. Auch nicht, wenn es um Extreme geht welche in unserem direkten Umfeld akzeptiert werden. Dazu gehören leider nicht nur Genitalverstümmelungen bei Frauen, sondern auch jede Form von politischem oder religiösem Fanatismus.
Also hier meine eindringliche Bitte
Löst euch von euren mentalen Angewohnheiten, handelt wie intelligente Menschen und benutzt endlich das kritische Denken.
Ich meine ja nur…